Manfred Paul

»humano«

Fotografien

 

Ausstellungsbeginn: 6. Mai 2023 um 19 Uhr
Ausstellungsdauer: 7. Mai bis 3. Juni 2023

Öffnungszeiten: Freitag bis Sonntag · 15 bis 18 Uhr
sowie nach Vereinbarung

 

»humano«

Als sich 1989 die Berliner Mauer öffnete und in den darauffolgenden Monaten Stück für Stück, Strecke für Strecke abgebaut wurde, zog Manfred Paul mit seiner Kamera los. Rastlos streifte er in seiner Nachbarschaft umher. Das rasante Schwinden von Mauer, Grenze und Niemandsland wollte er beobachten, ablichten, irgendwie festhalten. Nicht jedoch mit dem Ziel, den alles bedingenden politischen Umbruch oder die atemlose Überformung der Stadt zu dokumentieren, sondern aus dem eindringlichen menschlichen Bedürfnis, die Ereignisse erst zu fassen, sie zu befragen, zu begreifen. Was Pauls Mauerbilder auszeichnet, vermitteln mit vergleichbarer Intensität seine Stillleben wie seine Seestücke, seine Landschaften wie seine Porträts: Fotografieren für Paul ist Nachdenken.
In seiner neuesten Ausstellung humano nimmt der nach wie vor in Berlin lebende Künstler das Menschsein erneut in den Blick. Parallel zur umfangreichen Schau seiner bei längeren Aufenthalten in Indien, Rumänien und Paris entstandenen Fotografien, die im Berliner Haus am Kleistpark stattfindet, präsentiert Paul in der nahe gelegenen Galerie 37 rund vierzig noch nie gezeigte Schwarzweißporträts: von Kindern und Jugendlichen, von Älteren und Zerbrechlichen, auch von einem Wald, einem Dickicht und einem Gestrüpp. Es sind Bilder aus vier Werkzyklen, die Paul im Laufe seiner über fünf Jahrzehnte währenden Karriere aufgenommen hat. Zu sehen sind historisch fern wirkende und dennoch unter die Haut gehende Fragmente eines sich bis heute fortsetzenden Gedankengangs: über die Frage, was das menschliche Subjekt in seinem Sein ausmacht.
Die zu Beginn beziehungsweise zum Ende ihres Lebens porträtierten Menschen befinden sich in Innen- wie in Außenräumen, in städtischen wie in ländlichen Umgebungen. Kleinere und größere Details, etwa ein Schulranzen oder ein Betriebsschild, ein Fahrrad oder eine Frisur, verorten diese eher in der DDR, vermutlich in den 1980er Jahren. Wesentlicher jedoch als solche Hinweise auf Ort und Zeit, auf gesellschaftspolitische Zusammenhänge und Lebensumstände, erscheint jeweils der Blick der »im entscheidenden Moment« Fotografierten, jener mal fordernde, fragende, suchende, schweifende, sich abwendende oder gar gleichgültige Ausdruck eines wie auch immer gearteten Seins-zur-Welt. Die sensible Ineinanderkettung der Motive legt die Frage nahe, was es im Laufe eines Lebens so unterschiedlich heißen mag, Mensch und Mitmensch zu sein, sich als solchen zu empfinden und zu verhalten. Bei aller Universalität des unaufhaltsamen Werdens und Vergehens eines jeden Subjekts verweist die von Paul getroffene Bildauswahl gleichwohl auf die historische Besonderheit und kulturelle Bedingtheit der menschlichen Erfahrung. Catherine Nichols